Vor vielen, vielen Jahren, in Zeiten, an die sich heute niemand erinnern kann, lag inmitten der masurischen Seen, ein Fischerdörflein, dessen Einwohner es Nikolaiken nannten.
Die Einheimischen haben sich vor allem mit Maränenfang aus den rund herum liegenden Seen beschäftigt. Ihre Nachbarn bezeichneten dieses Ort mit folgenden Worten: „Nikolaiken – das ist ein Märchen, Arys – das ist die Stadt.“
Es ist Samstag. Am heißen Junivormittag nähert sich der Zug langsam der Landkreishauptstadt Mrągowo (Sensburg). Beim Aussteigen, nachdem ich einem der Mitreisenden mitgeteilt habe, dass ich nach Mikołajki (Nikolaiken) fahre, hörte ich folgende Antwort: „… der Marktplatz und die Strasse – Kajki, das ist das ganze Mikołaki. Früher sagte man so, aber jetzt…das Gołębiewski Hotel, wahrscheinlich das größte in Polen, mit Landeplatz für Hubschraube.Iim Sommer ist dort so voll wie auf der Marschałkowskastraße (eine der bekanntesten Handelspromenaden in Warschau).
Und das scheint wirklich zu stimmen. Das 4 Tausend Einwohner zählendes Städtchen, hat sich nach der Wende aus einem unbedeutenden und herabkommenden Ort auf der Fahrrinne der Grossen Masurischen Seen in ein lebendiges Kurort verwandelt, das heute zu den populärsten touristischen Ortschaften zählt. In Masuren bedeutet er für Polen so viel, wie Zakopane im Tatra Gebirge, und Łeba (Leba) an der Ostseeküste.
Das Gołębiewski Hotel
Zweifellos, neben der günstigen Lage zwischen dem Tałty See (Talter Gewässer) und Mikołajskie See (Nikolaiker See), hat sich das im 1991 gebaute Gołębiewski Hotel bedeutend zum Erfolg dieser Stadt beigetragen.
Gołębiewski, der Unternehmer aus Białystok, aus einer im Osten an der weisrussischen Grenze gelegener Stadt hat sich ideal an die Marktbedürfnisse angepasst. Das von ihm errichtete Hotel entsprach genau den Vorstellungen von der großen Welt, von der viele Polen träumten. Das Hotel wurde elegant ausgestattet, die Räume bekamen ungewöhnliche Größe, und man bot eine ganze Reihe von Attraktionen an, an die der polnische Tourist bis jetzt selten gewöhnt war, wie schmackhafte Küche im Form eines Büffets, Schwimmbäder mit Wasserrutschbahn, Golfplätze, und eigene Diskothek. Das eigene Schiff und Hubschrauber mit denen die Gäste Ausflüge machen können ergänzen nur das Bild. Im Hotel wurde eine Welt geschaffen, wo man alles bekommt, was man braucht. Das alles zusammen zog von Anfang an die reichsten Polen an, sowie auch die Familien aus dem schnell entstehenden Mittelstand, und Firmen die hier ihre Konferenzen organisierten. Für viele Polen ist ein Aufenthalt im Gołębiewski zur Mode geworden. Günstige, zentrale Lage und breites Angebot hat auch deutsche Reiseunternehmer überzeugt, hier für Ihre Gruppen die Übernachtungen zu reservieren. Mit der Zeit hat das Hotel unerwartet neue Kunden gewonnen – Russen aus dem Kaliningrader Gebiet und Litauer, die wie die Polen am Anfang der 90-er seit einigen Jahren auch den besseren Lebensstandard schmecken möchten.
Neues Nikolaiken
Das Hotel hat auch die ganze Struktur der Besucher in Nikolaiken verändert. Jahr zu Jahr haben sich die Proportionen geändert. Immer mehrere Laute mit Geld kamen hierher. Die geldlosen Studenten, die nur vom Kefir, Brötchen und vom im Laden gekauften billigsten Bier lebten wurden zur Minderheit. Und auch die Segelboote und ihre Besitzer, die die ganze Nacht ihre Segellieder singen, gehören bestimmt nicht zu den ärmsten.
Die Busucher von Gołębiewski oder ihre Bekannten, die sie hier angezogen haben, fangen an auch das Geld zu investieren und wurden zu besten Kunden für diejenigen die solche Investitionspläne hatten. Wie die Pilze nach dem Regen, wuchsen hier neue Pensionen und Hotels, entstanden Kneipen und Restaurants, Läden mit Bernstein und anderem Schmuck. Glücklicherweise wegen geringer Kriegsschäden wurden hier nicht viele Plattenhäuser gebaut, wie in manchen Ortschaften. Die alte Bausubstanz ist erhalten geblieben und nachdem man sie nach der Wende renoviert hatte, bekam die Stadt das neue Aussehen. Neben dem Alten ist aber das Neue entstanden. In der zweiten Hälfte der 90-er Jahre, in der Zeit des größten wirtschaftlichen Aufschwungs in Polen, begann man die Realisierung eines Projektes unter den Name „Nowe Mikołajki (Neuse Nikolaiken), in dessen Rahmen eine ganze Reihe von neuen, architektonisch an die Umgebung angepassten Häuser mit modernen Apartments gebaut wurde. Sie haben den bis damals leeren Raum zwischen dem Marktplatz und Anlegestelle der weißen Flotte gefüllt. Geplant waren noch mehrere Siedlungen dieser Art. Aber die hohen Preise und die ökonomische Stagnation, die Ende 90-er kam, haben leider diese Investitionspläne gebremst und man hat sich nur auf die oben erwähnte Wohnsiedlung beschränkt. Trotzdem befindet sich Nikolaiken immer noch auf der Rankingliste der ersten zahn attraktivsten Investitionsorten, die gleichzeitig keine Landkreishauptstädte sind.
Masurisches Venedig
So hat man Nikolaiken in den deutschen Zeiten genannt. Der Ort erstreckt sich dem See entlang, den man während eines Spazierganges auf der Uferpromenade bewundern kann. Zwei Bürgermeister, die hier letztens regierten, hinterließen zwei neue und schön verplante Parkanlagen. Am Ufer konzentriert sich das Leben der Stadt. Hier befindet sich das Seglerdorf, wo viele Konzerte im Sommer stattfinden. Zahlreiche Yachten und Motorboote legen hier an. Nikolaiken verfügt auch über 2 unabhängige Anlegestellen der Weißen Flotte. Von hier aus kann man alle wichtigsten Ziele auf der Fahrrinne der Grossen Masurischen Seen erreichen. Unter der Autobrücke schwimmt der Stinghengst, der so genannte König der Maränen, der laut Legende in diesen Gewässern lebte, kippte die Fischerboote um und befreite die gefangenen Fische aus den Netzen. Eines Tages wurde er aber geschnappt und von den Fischern und deren Familien auf dem Marktplatz entsprechend mit dem Festbinden an der Brücke bestraft. Den Stinghengst kann man von Juni bis September bei der Brücke bewundern. Der Tag an dem man den König der Maränen an die Brücke festbindet, ist gleichzeitig ein Höhepunkt des Festes „Dni Mikołajek“ (Die Tage von Nikolaiken)
Wo sich aufhört die Kultur…
…dort sich anfängt das Masur – sagte man noch vor dem Krieg. Heute stimmt das nicht mehr. Auch mehr anspruchsvolle Kulturfreunde finden hier etwas für sich. Bei der evangelischen Kirche kann man das Museum der Reformation besuchen, die die protestantische Vergangenheit der Region dokumentiert. Dort ist eine reiche Sammlung von gut erhaltenen alten Dokumenten, Karten, und Büchern zu sehen. Einige davon wurden sogar in dem schon heute völlig ausgestorbenen masurischen Dialekt geschrieben. Die Kirche selbst ist auch sehenswert. Von dem Kirchenturm erstreckt sich die malerische Aussicht auf die Stadt und die rund herum liegenden Seen. In der Kirche in einem Raum neben dem Altar befindet sich eine Gedenktafel, mit Namen, der im I Weltkrieg gefallenen Soldaten, die aus Nikolaiken oder der Umgebung stammten. Die polnisch lautenden Namen mischen sich hier mit deutschstämmigen Namen. Ein gutes Beispiel der multikulturellen Vergangenheit der Stadt.
Einige hundert Meter von der Kirche ist die alte Schule entfernt. Das noch im Jahre 1926 gebauter mächtiger Bau dominiert in der Umgebung. Hier im 2. Stock befindet sich Centrum Masurskie (das Masurische Zentrum). In der alten Schulaula, die auf alten holzgeschnitzten
Säulen gestützt wurde, kann man die Sammlung von wunderschönen alten Bildern, Landkarten und Postkarten bewundern. Vor allem aber wurde hie ein Kinosaal errichtet, wo jede volle Stunde eine Filmvorführung über Masuren aus der Vorkriegszeit stattfindet. Ein Teil der Sammlung und den Film kann man auch abends in Gołębiewski Hotel sehen.
Mit Nikolaiken hat auch die aus Ostpreußen stammende Gräfin Marion Dönhoff zusammengearbeitet. Heute trägt das örtliche Lyzeum ihren Namen.
Die Umgebung
Von Nikolaiken aus, kann man mehrere Reiserouten starten um die wilde masurische Umwelt zu erforschen. In dem Kreis von 25 Kilometer befinden sich viele sehenswerte Orte. Eine davon ist das sich auf der UNESCO – Liste befindende Naturschutzgebiet „Łukajno“, das auch Schwanensee genannt wird. Der Lucknainer See ist ein zu Hause für ungefähr 2,5 Tausend dieser schönen Vögel, die man von zahlreichen Aussichtstürmen bewundern kann. Am besten gelingt man hier mit dem Fahrrad.
Nikolainken liegt am Rand der Johannisburger Heide, der größten waldkomplex Masurens, wo auch der schwarze Storch lebt. In der Heide fließt der bekannteste malerische Fluss der Region Krutynia (Cruttina), der gleichzeitig zu den schönsten Kanuwasserstrecken gehört.
In der nahen Umgebung gibt es 60 Seen, eine davon ist der Śniardwy See (Spirdingsse), auch wegen seiner Größe als, “masurisches Meer“ genannt.
Die Pferdefreunde sollten einen Besuch in Popielno nicht verpassen. Hier befindet sich die Tarpahnenzucht der Polnischen Akademie der Wissenschaften (PAN). Ein Teil dieser kleinen einzigartigen Pferde lebt halbwild im nah gelegenen geschlossenen Waldgebiet. Um nach Popielno zu gelangen muss man eine Fähre in Wierzba (Wiersba) am Ufer des Baldannsees nehmen, die man auch als eine touristische Attraktion betrachten kann. In Kosewo führt PAN auch eine Zucht der Hirschen und Rehen.Auch nicht weit weg von hier in Kadzidłowo befindet sich ein Wildpark, wo Wölfe, Rehe, Biber, Elche und Kraniche leben.
Und nachdem der letzte Storch nach Afrika <abfliegt …
… verlassen auch die meisten Touristen das Masurenland. Der Saison dauert hier vom Mai bis September. Mit kommendem Herbst schläft das Städtchen ein. Leere Kneipen und verlassener Segelhafen können einen traurigen Eindruck machen. Aber für diejenigen die sich im September oder Oktober für Masurenurlaub entscheiden, kann das auch gute Seiten haben. Die ungestörte Natur kann jetzt eigenes Leben führen. Die Stille am Wasser gibt jedem das Gefühl, dass diese Landschaft nur für ihn geschaffen wurde. Also nutzen sie auch diese besondere Gelegenheit, das zu erleben.