„Schauen Sie jetzt bitte in Fahrtrichtung links. Der Zaun, an dem wir gerade vorbeifahren sind, zeigt das Ende des Niemandslandes. Dahinter sehen sie einen weißen Grenzstein mit zweiköpfigem Adler, dem russischen Staatswappen, und paar Meter weiter ist ein anderer Grenzstein mit weißem Adler sichtbar – das ist schon Polen. Herzlich willkommen in Ermland und Masuren“ – erzählt mit sicherer Stimme die lächelnde Frau. Und das ist keineswegs eine Schulung für die Schmuggler. Roswitha Thomsen ist Reiseleiterin des Kreuzfahrtzuges, der gerade die russisch-polnische Grenze überquert.
Der Emotionsschauer, der immer noch jeden Körper beim Überschreiten der Grenze des ehemaligen Imperiums des Bösen erfüllt, macht das ganze Abenteuer noch attraktiver. Umso angenehmer ist das ganze Erlebnis, weil man zu komfortablen Bedingungen die Grenzkontrolle erlebt, und dafür im Vergleich zum Busverkehr viel weniger Zeit braucht. Die Kreuzfahrtzüge werden allmählich zum festen Bestandteil der masurischen Landschaft. Es geht hier nicht um normale Passagierzüge, die in dieser Gegend verkehren. Wir reden hier von Sonderzügen, die als Hauptverkehrsmittel für 8-9-tätige Pauschalreisen dienen.
Bestimmt hat jeder von uns den legendären Film Orient Express gesehen. Ein eleganter Zug verkehrte von Westen nach Osten und jeden Tag brachte er seine Passagiere in eine neue Welt anderer Kulturen. Jetzt hier in Masuren erleben die Fahrgäste etwas Ähnliches. Im Zugrestaurant oder in einer Bar mit Livemusik, die von einem Pianisten gespielt wird, gibt genug Gelegenheiten, um bei einer Weinflasche gleichzeitig die schönen Landschaften zu bewundern und Meinungen oder Reisereflexionen gemeinsam auszutauschen. Von Tag zu Tag, werde die Passagiere immer weniger anonym, wie das aber schon oft üblich ist bei Pauschalreisen, die wir nach Majorka unternehmen.
„Es ist etwas Besonderes, was viele erleben möchten, weil sie bis jetzt mit dieser Form des Reisens nichts zu tun hatten. Auf Schritt und Tritt sieht man die gute Stimmung die zwischen den Mitreisenden herrscht“ – erzählt uns Bartek Łabęcki von der Firma DNV.
Masurenland
Obwohl im Reiseprogramm der Unternehmen, die Fahrten mit Sonderzügen organisieren, mehrere Länder stehen, befindet sich Masurenland auf einer wichtigen Position. Jedes der 2 großen Reisbüros hat ein paar Eisenbahntouren in seinem Angebot, die in unserer Region verkehren. Auf diese Art und Weise besuchen einige tausend Touristen das Land der dunklen Wäldern und kristallnen Seen. Es gibt auch Leute, die das schon zum zweiten Mal machen. Arnold Küehn von „Eisenbahn Erlebnisse“ aus Düsseldorf ist der Meinung, dass „am Anfang der Heimattourismus dominierte, mit der Zeit stieg aber immer mehr die Zahl der Reiseteilnehmer, die keine Beziehung zu Masuren hatten, sondern einfach von Anderen über die besondere Atmosphäre der Bahnreisen gehört haben“. Das bestätigt auch Bartosz Łabęcki von der Konkurrenz: „Die Menschen, die wegen der Nostalgie hierher kamen, werden seit ein paar Jahren durch immer jüngere Generation ersetzt.“
Interessant ist, dass solche Reisen bei den Polen überhaupt nicht bekannt sind, obwohl wir als Nation sehr intensiv als Touristen die ganze Welt bereisen. Aber schneller trifft man einen Polen, der durch die Gobiwüste wandert, als einen der mit einem Sonderzug fährt. Es gibt aber auch Gründe dafür. Erstens reisen sie meistens als Individualisten mit Familie oder Bekannten alleine durch Polen, zweitens sind die polnischen Bahnen noch immer ein Relikt des alten Systems, wo es jeder, mal abgesehen von modernen Inter- oder Eurocity-Verbindungen, mit verspäteten, schmutzigen Bahnen und unfreundlichen Schaffnern zu tun hat. Also würden nicht viele Polen auf die Idee kommen, dass man auch mit dem Zug einen schönen Urlaub machen kann. Oft wundern sich die Einheimischen, wenn sie plötzlich am Bahnhof oder auf der Strasse 200-300 Menschen sehen, die in eine Richtung gehen.
Mehrmals als ich ein Schild mit einem Kenn-Buchstaben einer Reisegruppe getragen habe, fragten mich die Menschen: „Was ist das für eine Demonstration?“ Meistens habe ich geantwortet „Nieder mit Leszek Miller“ (das war damals ein unpopulärer Ministerpräsident von Polen) – erzählt Grzegorz Gajewski, der als Reiseleiter in Sonderzügen arbeitet.
Wodurch werden also Touristen nach Masuren gelockt? „Die Schönheit der Landschaft und der Grenzübertritt nach Russland macht den besonderen Reiz einer Masurenfahrt aus“ – sagt Arnold Kühn. „Die Reisenden wollen vor allem sehen, wie sich Polen in den letzten 15 Jahren verändert hat. Es gibt oft Leute, die schon ewig nicht mehr in unserem Land waren und sich nur an die traurigen „grauen“ Strassen erinnern können. Sie wollen diese Erfahrungen oder auch Vorstellungen, die sie auf Basis von Büchern oder Fernsehberichten haben, mit der Wirklichkeit konfrontieren.“ ergänzt Bartek Łabędzki. Das alles bestätigt den Werbeslogan, der sagt: „ Der Kluge reist im Zuge“.