Viele von uns haben schon einen großen Teil von Europa oder sogar der Welt besucht. Wir fahren hunderte von Kilometern, genießen die lokalen Speisen, treffen viele Menschen unterwegs, kaufen viele Reisandenken. Jedoch der Kontakt zu den Einwohnern bleibt oberflächlich und in Wirklichkeit haben wir keine Ahnung, wer sie sind. Jetzt haben wir eine gute Gelegenheit, sie besser kennen zu lernen.
Es ist schwierig, ein Bild von einem typischen Einwohner von Ermland und Masuren darzustellen. Wie überall in Polen, gibt es hier große und kleine Menschen, arme und reiche, ehrliche und unehrliche. Im Zeitraum 1996-2000 wurde in der Region eine Reihe von soziologischen Untersuchungen durchgeführt. Hauptmotiv für diese Untersuchungen war folgende Frage:Betrachten sich die heutigen Einwohner-die meisten von ihnen leben erst seit Ende des 2. Weltkrieges in dieser Region- als Masuren und haben sie sich „mit der Heimat identifiziert“? Befragt wurden die Einwohner aus vier völlig unterschiedlichen Ortschaften: Giżycko (Lötzen) – eine Stadt, Kruklanki (Kruglanken) – ein Dorf, das nord-östlich einige zehn Kilometern von Lötzen entfernt ist, Stare Juchy (Alt Jucha) – ein zwischen Lötzen und Ełk (Lyck) gelegenes Dorf, wo mehrere Großstadtbewohner aus Warschau und Białystok ihre Ferienhäuser gekauft haben, und Budry (Buddern) – ein Ex-LPG Dorf im Angerburger Landkreis.
Gibt es hier überhaupt noch Masuren?
Leitmotiv dieser Untersuchungen war die Antwort auf die Frage: Wie identifizieren sich die Einwohner mit ihrer Region und wie weit identifizieren sie sich mit ihrer Heimat. Obwohl fast 100% der Befragten sich zur Nationalität „Polen“ bekennnen,(ein paar Prozent Ukrainer, wenige Deutsche) ,hat sich ebenfalls bei ca . der Hälfte der Befragten eine regionale Identität herausgebildet. Viele bezeichnen sich als „Masuren“. Jeder fünfte von ihnen fühlt sich aber auch als „Ermländer“.Interessant deswegen , weil keine der befragten Ortschaften je zu Ermland gehört hat.Ermlands Grenze mit der Hauptstadt Olsztyn (Allenstein) verläuft fast 100 km entfernt.Es gibt jedoch eine gemeinsame Wojewodschaft „Ermland und Masuren“.Vielleicht führt das zu dieser regionalen Identität. 33% der Befragten über 50 bezeichnen sich als „Ermländer“, im Gegensatz zu den Jüngeren (14%).
Am meisten „masurisch“ ist Alt Jucha (über 60% der Befragten). Hier lebten mehrere Jahre nach dem Krieg bodenständige Masuren. Eine professionelle Werbekampagne der Gemeinde verfestigte die masurischen Wurzeln dieser Region. Bedeutung hat hier auch die Herkunft der Einwanderer, die aus nah gelegenen Masovien, Podlasie und Suwalszczyzna stammen – aus Gebieten, in denen sich damals die Entwicklung der lokalen Identität erst in der Aufbauphase befand. Aus diesem Grund war es für diese Leute einfacher Masuren zu werden.
Am wenigsten „masurisch“ hat sich dagegen Lötzen gezeigt. Die Soziologen erklären sich das so: durch den touristischen Charakter ist die Stadt mehr kosmopolitisch geworden. Es gibt sicherlich noch andere Gründe: die Kasernen der polnischen Armee, mit vielen Offizieren, die sich früher oft nach Beendigung ihrer Dienstzeit in der Stadt für immer niedergelassen haben, die lokale Verwaltung, die Giżycko als Sommerhaupstadt für Wassersport und andere Freizeitgestaltungen anpreist, ohne dabei die masurische Herkunft der Gegend zu betonen und letztendlich die starke Tradition der ehemaligen Einwohner aus Ostpolen in der Stadt (vor allem aus Wilno und die Umgebung), die ihre Heimat nach der Grenzverschiebung verlassen mussten.
Gefällt der heutigen Masuren Ihr Masurenland?
Die Befragung ergab -und das ist keine große Überraschung -daß 95 % der Befragten ihre Umgebung , in der sie leben als „schön“ bezeichnen. In der, an der Fahrrinne der Grossen Masurischen Seen zwischen dem Kissain und Löwentin See gelegenen Stadt Lötzen sogar fast 100% .Auswandern will fast niemand. Trotz sehr hoher Arbeitslosigkeit- die höchste in Polen- geben über 70% der Bevölkerung an ,daß sie ihre Heimat auf keinen Fall verlassen möchten. Nur im Ex-LPG Dorf Budry gab es andere Befragungsergebnisse: In dieser seenlosen Gegend träumt über die Hälfte von der Auswanderung. Unter allen Befragten in 4 Ortschaften ist 40% der jungen Menschen im Alter zwischen 20 und 29 zur Ausreise bereit.
Jeder Besucher aus dem Ausland in Polen hat sich mindestens einmal die Frage gestellt: wann war für die Polen das Leben besser. vor oder nach der Wende? Hier in Masuren bevorzugen fast 40% der Befragten die alten Zeiten (feste Arbeitstelle, soziale Sicherheit,). Vielen, die so geantwortet haben, hat bestimmt auch der Spruch gefallen, der viel mit der Wirklichkeit zu tun hatte: „Egal, ob man steht oder liegt, sicher ist, daß man „zweitausend auf die Hand kriegt“. Jedoch 30% der Bevölkerung plädiert für das heutige System. Die aktuelle Wirtschaftslage ist hier entscheidend. In Giżycko gibt es fast doppelt so viele Menschen, die jetzt besser leben als in Kommunismus. Im Dorf Budry sind die Proportionen umgekehrt.
Nur jeder zehnte Einwohner von Kruklanki, Stare Juchy oder Budry fühlt sich von der Kriminalität in seiner Umgebung bedroht. In diesen ländlichen Gegenden, wo jeder jeden kennt ,ist das völlig normal. Dagegen fürchten sich 38% der Einwohner von Lötzen vor kriminellen Delikten.
Das heutige Masuren gilt als ruhiges und sicheres Land dar. Hier kreuzen sich keine internationalen Handelswege, es gibt keine Großstädte. Auch die gefährlichen Terroristen oder internationale verbrecherische Banden lassen sich hier nicht blicken. In mehreren Ortschaften ist die Zeit stehen geblieben. Ist das nicht ein wirklicher Grund – neben der Schönheit dieser Region- eine Reise nach Masuren zu planen?