Der Begriff Mysterium stammt aus der Antike, doch seine gegenwärtige Bedeutung bekam er erst im Mittelalter. Mysterienspiele, die biblische Geschichten bzw. Hagiographien zum Thema hatten, wurden damals in den Kirchen und auf den Stadtplätzen aufgeführt. Diese Form des liturgischen Dramas erfreut sich nach wie vor einer großen Beliebtheit. Zu Weihnachten werden Krippenspiele dargestellt und in der Osterzeit können wir an einem Passionsspiel sowie einem Osterspiel teilenehmen, das die Auferstehung Christi thematisiert. In Polen werden die Passionsspiele jedes Jahr in u.a. in Kalwaria Zebrzydowska, Kalwaria Pacławska, Górka Klasztorna sowie in der Zitadelle Posen aufgeführt.
Kalvarienberge, d.h. Kapellengruppen zur Erinnerung an die Kreuzigung von Jesus Christus, wurden in Europa bereits im 15. Jahrhundert gegründet, weil die Gläubigen angesichts der moslemischen Eroberung keine Möglichkeit hatten, in das Heilige Land zu pilgern. Da die Kalvarienberge einigermaßen die Topographie von Jerusalem widerspiegeln, sind sie eine ausgezeichnete Kulisse für die Passionsspiele. In Kalwaria Zebrzydowska finden die Spiele seit 1608 also beinahe seit der Gründung des Kalvarienberges, statt.
Die Darstellungen fangen bereits am Palmsonntag an, wenn Jesus Christus auf einem Esel in Jerusalem einzieht. Vor einer Kirche, die das Tempel in Jerusalem symbolisiert, wir die Szene der Händlervertreibung aus dem Tempel vorgespielt. Am Karmittwoch Abend kommen die Pilger in die Kirche, wo das Abendmahl bei Simon Petrus stattfindet, Jesus von Judas Ischariot verraten wird und der Sanhedrin den Tod von Christus beschließt. Am Gründonnerstag Nachmittag verabschiedet sich Christus von den Aposteln, wäscht ihnen die Füße und der Prozessionszug begibt sich zum Getsemani Garten. Hier spricht Jesus mit seinem Vater, danach wird er verhaftet und alle ziehen über den Bach Kidron und das Goldene Tor in den Kajaphas Palast. Hier werden die Pilger Zeugen der Verleugnung von Simon Petrus und der Sanhedrin-Sitzung am Abend. Am frühen Morgen am Karfreitag findet ein Gericht bei Kajaphas sowie eine Anhörung bei Pontius Pilatus und Herodes statt. Schließlich liest Pilatus ein Urteil vor, in dem die Kreuzigung von Jesus Christus beschlossen wird. An dieser Stelle beginnt der traditionelle Kreuzweg. Das Passionsspiel auf dem Kalvarienberg endet mit der Karfreitag-Liturgie, die von einem Bischof in der Kreuzigungskirche zelebriert wird.
Während des Mysteriums werden die drastischen Momente der Passion nicht gezeigt. Der Tod von Jesus Christus wird durch eine symbolische Überführung des Allerheiligsten Sakraments in die Grabkapelle dargestellt. Die Szenen aus dem Evangelium werden ausschließlich von Laien aufgeführt, da das Ziel der Spiele nicht die Präsentation von schauspielerischen Fähigkeiten sondern eine Vertiefung des Glaubens ist. Jedes Jahr beteiligen sich an den Passionsspielen unzählige Pilger.
Der Kalvarienberg in Kalwaria Zebrzydowska gehört zu diesen außergewöhnlich attraktiven Orten, in denen die Architektur mit der Natur verschmelzt und eine einmalige beeindruckende Einheit bildet. 1999 wurde das Architektur- und Naturensamble in die Liste des Kultur- und Naturerbes UNESCO aufgenommen. Die Mysterienspiele fangen am 4.04.2012 um 20 Uhr an.